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6.1 Technische Produktion, Publikation und Distribution 6.1.1 Technische Herstellung der Inhalte 6.1.2. Vervielfältigung und Distribution 6.1.3. Folgerungen für die Verkehrsform 6.2 Koproduktion der Inhalte 6.2.1 Koproduktives Patchworking 6.2.2 Die Auflösung der kommunikativen Rollen 6.2.3 Folgerungen 6.3 Oberflächenbildung |
Smith (1974: 16) sieht die marktwirtschaftliche Geldökonomie als eine Folge der Arbeitsteilung. Ich habe im zweiten Kapitel kurz begründet, warum die archaische Geschenkökonomie nur in Wirtschaftssystemen mit sehr geringer Arbeitsteilung Bestand haben kann. In diesem Kapitel soll wiederum die Bedeutung der Produktionsverhältnisse für die Güterverkehrsmodi untersucht werden. Ich möchte zeigen, daß die Produktionsweise des vernetzten Informationsarbeiters eine entscheidende Vorbedingung dafür ist, daß sich die Geschenkökonomie durchsetzen kann. Im ersten Abschnitt werden die technischen Voraussetzungen von Produktion, Publikation und Distribution geschildert, die dazu führen, daß es fast für jeden möglich ist, als Produzent globaler Güter aktiv zu werden. In Abschnitt zwei wird die dominierende Form der Inhaltsproduktion nachgezeichnet, das koproduktive Patchworking, das es erlaubt, wertvolle Güter ohne professionelle Arbeit zu produzieren. Im letzten Abschnitt wird die Bedeutung der Produktion von Gütern im eigenen Selbstdarstellungsbereich beschrieben. |
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6.1 Technische Produktion, Publikation und Distribution 6.1.1 Technische Herstellung der Inhalte |
Das Internet ist ein Medienraum mit einer relativ hohen Zugangsbarriere. Es erfordert außer der Investition in die Hardware eine unterbrechungsfreie Stromversorgung, sichere Telefonverbindungen, die Existenz eines Access-Providers in der Nähe und eine bestimmte Alphabetisiertheit im Computerbereich. Mittelfristig werden wohl nicht einmal die meisten Menschen in den Industriestaaten Zugang zu diesem Medium haben, geschweige denn die Mehrheit der Weltbevölkerung. Andererseits ist die Schwelle von der passiven Nutzung zur aktiven denkbar niedrig: Fast alle internetspezifischen Dokumente können mit den technischen und intellektuellen Bordmitteln eines normalen PC-Nutzers produziert werden. Für die Erstellung von Mails, USENET-Postings oder HTML-Seiten braucht man weder teure Spezialprogramme noch Expertenwissen. Alle dazu nötigen Tools gibt es als Share- oder Freeware und die Anwendungen liegen von ihrer Komplexität her meist unter normalen Textverarbeitungsprogrammen wie etwa WORD. Ausnahmen sind z. B. TELNET-Applikationen wie MUDs, sowie server- oder clientbasierte Scripts im WWW (CGI, Java), deren Erstellung Programmierfähigkeiten voraussetzt. Insgesamt ähnelt die Situation der des Telefonierens: Produktion und Rezeption von Nachrichten erfordern ein ähnliches Know-how und ähnliche Geräte. |
6.1.2. Vervielfältigung und Distribution
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Bei Printmedien sind die Inhalte an materielle Träger gebunden: Die Zeitung von morgen wird nicht auf dem Papier der heutigen gedruckt, jeder Inhalt braucht einen neuen Träger. Bei elektronischen Medien gibt es keine Inhalt-Träger-Bindung: Ich kann mit einem TV-Gerät beliebig viele verschiedene Sendungen ansehen. Bei den klassischen elektronischen Medien ist das Medienformat an einen Träger gebunden: Mit dem Radio kann ich nicht fernsehen und ohne Set-top-box kein Digital-TV empfangen. Außerdem ist bei den Rundfunkmedien die Anzahl der verschiedenen Angebote an die Breite des Übertragungskanals gebunden: Das Grundproblem des Rundfunks ist einfach, daß alle Angebote gesendet werden müssen, bevor der Rezipient seligieren kann. Das bedeutet, daß die Anzahl der verfügbaren Angebote - egal wie breit die Kanäle von Kabel- und Satelliten-TV jemals sein werden - eine Funktion der Breite des Kanals sind. 1 Das Internet kennt dagegen keine der Bindungen an Kanäle oder Träger, d. h. man kann hier jederzeit ohne Hardwareinvestitionen neue Medien, zusätzliche Angebote und Inhalte aufsetzen. 2 Eine Investition in Träger ist nur noch zur Vergrößerung der Übertragungsrate notwendig. Die Entkoppelung der Inhalte, der Angebote und des Medienformats von der Hardware ist m. E. das Kernfeature des neuen Medienraums, nicht seine oft behauptete Schnelligkeit. Die Publikation der Dokumente im Netz ist damit unabhängig von Selektionsinstitutionen wie Verlagen oder Fernsehsendern. Vorselektion würde im Netz keinen Sinn machen, da die Publikation fast keine materiellen und überhaupt keine Kanalressourcen verbraucht. Die Selektion wird allein durch den Rezipienten selbst und durch Akteure, die auf andere Angebote verweisen oder nicht verweisen, durchgeführt. Die Vervielfältigung der digitalen Inhalte ist praktisch kostenlos. Ihre Distribution ist für den Produzenten sehr billig, Distributionskosten fallen hauptsächlich auf der letzten Meile an, der Telefonverbindung zwischen Access-Provider und Rezipienten. 3 Diese trägt - was bei anderen Medien nur selten der Fall ist - direkt der Rezipient. |
6.1.3. Folgerungen für die Verkehrsform |
Die technischen Produktions- und Distributionsgegebenheiten sind zumindest zum Teil bereits ein Resultat der Geschenkökonomie: Die Kosten und Aufwände sind so niedrig, weil fast für alle Tasks freie Software und nonproprietäre Protokolle entwickelt wurden: Es wäre auch in einem globalen Netzwerk möglich, daß das Aufsetzen einer Site sehr teuer ist, weil z. B. das Netz proprietär ist und der Netzmonopolist keine Anschlüsse von Fremdservern erlaubt. Zudem könnte die Erstellung von Dokumenten und die Publikationen dementsprechend viel kosten, wenn proprietäre Programme, Formate und Medien dafür verwendet werden müßten. 4 Umgekehrt befördert die Produktions- und Publikationssituation die Geschenkökonomie: Im Gegensatz zu einem Filmproduzenten muß ein Ersteller einfacher Inhalte im Netz weder Werkzeuge noch Rohmaterialien einkaufen. Auf der Kostenseite der Produktion steht nur der Zeitaufwand. D. h. ein Informationsarbeiter kann im Gegensatz zu einem Filmproduzenten ohne materiellen Verlust schenken, weil er in seine Produkte kein Geld investiert. Außerdem hat jeder, der etwas schenken will, in dem uneingeschränkten Publikationsraum die Möglichkeit dazu. Die Vervielfältigung und Distribution kostet den Produzenten nahezu nichts. Weil die Übertragung einer zusätzlichen Kopie keine Kosten verursacht, ist kein Produzent gezwungen, Schutzgebühren zu verlangen. D. h., wenn man schenkt, wird man normalerweise anstreben, alle interessierten Rezipienten zu erreichen. Dadurch, daß die Produktion ohne materiellen Verlust abläuft, können viele verschiedene Angebote entstehen. Dadurch, daß die Distribution und Vervielfältigung kostenlos abläuft, kann jedes Angebot für jeden Nutzer frei sein. |
6.2 Koproduktion der Inhalte
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Die Inhalte im Netz können natürlich wie die anderer Medien produziert werden. Oft werden konventionell hergestellte informationelle Gegenstände wie Zeitungen oder Anwendungssoftware einfach übers Netz vertrieben. Auch die meisten Webpräsenzen von Firmen werden genauso wie Kataloge oder Prospekte von einigen Mitarbeitern evtl. zusammen mit einem externen Dienstleister wie einer Werbeagentur erstellt. Ein großer Teil vor allem der nichtkommerziellen Angebote im Netz ist aber in gänzlich anderen Produktionsprozessen entstanden, die nur im Netz möglich sind und im folgenden beschrieben werden. |
6.2.1 Koproduktives Patchworking
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Im USENET ist normalerweise nicht der einzelne Beitrag wirklich wertvoll, sondern die gesamte Newsgroup bzw. ein Thread: Im Idealfall treffen hier wichtige Fragen, die viele interessieren, auf Personen die sie kompetent beantworten können. Eine Diskussion gewinnt durch das Aufeinandertreffen von verschiedenen Meinungen an Wert. Im Web ist es ähnlich: Es gibt wenige Sites, die ein gutes Fachbuch schlagen, aber m. E. ist für fast jedes Thema das gesamte Informationsangebot im Web besser als jedes Buch. Im besten Fall existiert zu einem Thema ein dichtes Netz von Beiträgen, das sinnvoll verlinkt ist. Durch die Möglichkeit, Verweise zu setzen, bzw. durch die Threadstruktur des USENET, ist es möglich, aus vielen kleinen Einzelhinweisen ein umfassendes hypertextuelles Informationsangebot zu produzieren: Einige geben ein paar Tips, andere schreiben einen kurzen Essay, ein weiterer scannt existierende Papierdokumente ein, ein vierter erstellt ein FAQ, der fünfte setzt eine Liste von Links auf, der sechste beurteilt das vorhandene Informationsangebot, usw. Selten kann eines dieser Angebote für sich allein stehen, es ist darauf angewiesen, daß der Rest der Dokumente einen ergänzenden Hintergrund bildet. Das Informationsgeflecht zu einem Thema wächst quasi organisch durch die permanente Anhängung von kleinen Leistungen. Ich habe im Kapitel fünf gezeigt, daß dieses Produktionsverfahren, das ich "koproduktives Patchworking" nennen will, sogar bei der Entwicklung einer Programmiersprache funktioniert. Das beste Beispiel für die Potenz dieser neuen Produktionsweise ist das Betriebssystem Linux, das komplett nach diesem Verfahren erstellt wurde. Linux ist ein hochkomplexes, voll funktionstüchtiges Produkt, dessen Erstellung unter kommerziellen Bedingungen mindestens eine zweistellige Millionensumme gekostet hätte. 5 Im folgenden sollen fünf zentrale Eigenschaften des koproduktiven Patchworkings beschrieben werden: 1) Arbeit unter Personennamen Das Netz stellt weitgehende Möglichkeiten zur Verfügung, unter Pseudonymen zu agieren, die die Eigenschaften der dahinterliegenden Person wie Geschlecht oder Herkunft camouflagieren. In bestimmten Kontexten wird davon reger Gebrauch gemacht, z. B. in Hacker- oder Spielergemeinden. Man kann jedoch davon ausgehen, daß in den meisten Produktionskontexten - egal ob Aliasnamen oder bürgerliche verwendet werden - eine eineindeutige Zuordnung von Namen und Person möglich ist. 6 Im Netz wird im Gegensatz zur Produktion außerhalb meist unter Personennamen gearbeitet; der Mensch versteckt sich nicht hinter einer Organisation. Es wird auch nur selten vergessen, den eigenen Namen deutlich sichtbar auf den geschenkten Produkten anzubringen. Das Netz ist m. E. also kein Medium, in dem Anonymität eine große Rolle spielt. Die Produzenten wollen aus Gründen, die im nächsten Kapitel erläutert werden, meist überhaupt nicht anonym bleiben. 2) Die freie Assoziation der Produzenten Da die einzelnen Produzenten nicht im Rahmen einer Organisation zusammenarbeiten, gibt es keine festgelegten Machtstrukturen. 7 Da sich die Produzenten gegenseitig nicht bezahlen, gibt es keine vertraglichen Verpflichtungen, die sie aneinander binden. Jeder kann jederzeit genau das tun oder lassen, was er will. In konventionellen Produktionskontexten sind die Motivations- und Steuerungsinstrumente Geld und Macht: In einem Unternehmen oder einer Behörde tut man überhaupt etwas, weil man Geld dafür bekommt. Man tut das, was man tun soll, weil die koordinierende Instanz, der Vorgesetzte, Beförderungen gewähren, Urlaub oder Prämien erteilen, und als Ultima Ratio den Rausschmiß anordnen kann. 8 Die beiden Mittel Geld und Macht fallen beim koproduktiven Patchworking aufgrund der freien Assoziation weg. 3) Koordination per "invisible hand" Im koproduktiven Patchworking arbeitet man auf eigene Faust und eigene Rechnung. Gründe dafür, überhaupt etwas zu tun, werden im nächsten Kapitel besprochen, dort werden Ansehen, Aufmerksamkeit und Verbreitung eigener Produkte als angestrebte Gegengaben identifiziert. Die Koordination der Produktion funktioniert hier ähnlich wie in der Marktwirtschaft: Eine Leitung ist meist nicht nötig, da - im Idealfall - jeder Produzent in wohlverstandenem Eigeninteresse selbst ein unbestelltes Feld aufsucht, auf dem er noch etwas originelles leisten kann: Da sich bei zehn Linklisten zu einem Thema wahrscheinlich niemand für eine elfte interessiert, wird ein potentieller Produzent eher die Erarbeitung eines Tutorials in Angriff nehmen, für das er noch Aufmerksamkeit und Interesse findet. Vorbild für diese Form der Informationsproduktion sind natürlich die Wissenschaften, in denen die einzelnen Akteure ihre Produktivkräfte besser auf neue, interessante Felder allozieren, als die beste Zentralsteuerung das könnte. 4) Kommunikative Koordination Bei manchen Projekten genügt diese Form der Koordination jedoch nicht, weil sie eine eng verzahnte Zusammenarbeit der einzelnen Produzenten erfordern: Vor allem in der Softwareproduktion muß die Zusammenarbeit kommunikativ abgestimmt werden: Da illokutive Akte wie Drohen oder Versprechen in einem geld- und machtfreien Kontext keine Anwendung finden können, muß man überzeugen, um andere dazu zu bewegen, an bestimmten Sachen zu arbeiten. M. E. ist es nur zum Teil eine kommunikativ generierte Rationalität, die dazu führt, daß die einzelnen Aktionen stattfinden und synchronisiert werden, sondern vor allem die Fähigkeit einiger Leithammel, die Gemeinde durch Überreden, Begeistern und Knüpfen von freundschaftlichen Banden zu einer Mitarbeit an bestimmten Dingen zu bewegen. Raymond (1997) betrachtet die kommunikativen Fähigkeiten der jeweiligen Gurus eines Projektes für den "Bazaar Style" der Softwareproduktion als eins der wichtigsten Erfolgskriterien. 5) Produktion in der Freizeit In den Industriegesellschaften sind Erwerbsarbeits- und Freizeitsphäre strikt getrennt: Eigentlich soll die Freizeit der Erholung und eigenen Reproduktion dienen. Soweit doch Güter produziert werden, sind diese auf den sozialen Nahbereich beschränkt: Man macht etwas für die Familie, für Freunde oder für den Verein. Eines der wichtigsten Features des Netzes ist es, daß hier die Freizeit zu einer Produktionssphäre global ausgetauschter Güter werden kann. Der Grund dafür liegt erstens darin, daß man die Maschinen zuhause hat und die weltweite Distribution der Produkte sehr einfach und billig ist, und zweitens in der Möglichkeit, beim koproduktiven Patchworking auch durch kleine unregelmäßige Beiträge Güter herstellen zu können, während die Produktion in der Industrie auf eine dauerhafte Leistung, die zu festen Zeitpunkten erbracht wird, angewiesen ist. Natürlich hat das koproduktive Patchworking Nachteile: Bestimmte Aufgaben sind eher unbeliebt, so daß sich kaum einer ihrer annimmt: Es gibt zwar zu jedem größeren Thema eine Reihe von Verzeichnisse und Listen von Links, aber nur wenige, die vernünftig kommentiert sind. Überhaupt werden arbeitsaufwendige, nicht so hoch angesehene Tätigkeiten wie das Rezensieren anderer Inhalte eher gescheut. Im Softwarebereich gibt es eine Unzahl von Modulen und Programmen, aber häufig nur schlampige Dokumentationen und zu selten Einführungen. Ein weiterer Nachteil dieser Produktionsweise ist, daß es keinerlei Qualitätsprüfung gibt. Meines Erachtens ist die Qualität der Dokumente im Netz durchschnittlich nicht schlechter als die der Printmedien. Das Problem ist eher, daß es kaum eine Möglichkeit gibt, sich Periodika herauszupicken, die einen durchgehend hohen Standard halten. Man ist also gezwungen, bei jedem Dokument selbst dessen Verläßlichkeit einzuschätzen, was schwierig ist, wenn man sich in dem jeweiligen Bereich nicht gut auskennt. Der entscheidende Vorteil des Patchworking ist, daß es völlig ohne Geldzuschüsse funktioniert: Da der Aufwand für einen Beitrag für jeden Produzenten beliebig skalierbar ist, kann jeder neben seiner regulären Beschäftigung eben so viel machen, wie er Zeit und Lust hat. Web und USENET sind Medien, in denen wertvolle Güter produziert werden können, ohne daß dafür eine Professionalisierung der Informationsproduktion notwendig ist. 9 Bei einer Zeitung oder einem Film wäre eine nichtprofessionelle Produktion nur schwer vorstellbar. |
6.2.2 Die Auflösung der kommunikativen Rollen
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Da es keine Selektionsinstitutionen gibt, die gewisse Angebote ausschließen und andere verfügbar machen, und da die meisten Verzeichnisse und Linksammlungen wenig wählerisch sind (es ist alles aufgeführt, was zu einem Thema zu finden ist), muß der Rezipient die Auswahl selbst vornehmen, was einerseits für viele einen dauernden Grund zum Jammern über die Unübersichtlichkeit des Netzes darstellt, andererseits die vielbejubelte Freiheit des Mediums von Vorselektionsmechanismen ist. Unabhängig von einer Bewertung läßt sich feststellen, daß eine Arbeit, die in den klassischen Massenmedien weitgehend von Seiten der Produzenten und Distributionsinstitutionen geleistet wird, im Netz vom Rezipienten erbracht werden muß. Bei fast allen Medien muß der Rezipient eine gewisse Selektionsleistung erbringen, im Netz wird diese aber so groß, daß auch der Rezipient durch seine Tätigkeit eine koproduktive Rolle bei der Erstellung der Informationsprodukte einnimmt: Im Web ist der Auswahlprozeß nicht mehr von der Rezeption getrennt, da die Informationsaufnahme ein kontinuierliches Weiterseligieren erfordert. Man liest sich durch die jeweiligen Selektionen ein zum Teil selbst erstelltes Dokument zusammen. Oft tritt die produktive Seite der Rezeption noch stärker hervor: Die Seiten, die erscheinen, wenn ich Begriffe in ein Formular eingebe, hinter dem ein CGI-Skripts liegt, sind - ohne daß man dafür eine konstruktivistische Erkenntnistheorie bemühen müßte - etwas von mir mitgeschaffenes: Das Dokument würde es ohne mein Zutun einfach nicht geben. Die erfolgreichsten Angebote im Web sind nicht mehr als informationelle Gegenstände zu verstehen, die eine Seite der anderen gibt, sondern als jeweils neue Medien, die eine bestimmte Form der Kommunikation zwischen verschiedensten Gruppen ermöglichen: Bei einer Suchmaschine wie Altavista wechseln die Akteure zur Erstellung des Endproduktes jeweils ihre Rollen als Produzenten und Rezipienten: Derjenige, der eine Site anmeldet ist der erste Informationsproduzent mit der Eingabe der URL. Die Suchmaschine ist Rezipient 1, indem sie die Adresse entgegennimmt und Rezipient 2, wenn sie die Seiten zur Indizierung herunterlädt. Produzent 2 ist der Ersteller der Seiten. Der dritte Produzent ist der Suchende, der sein Suchwort eingibt, der dann zum Rezipient 3 wird, wenn er das Ergebnis von Produzent 3, der Suchmaschine, zurückbekommt. 10 Die Anmeldenden der Site, die Seitenersteller und die Suchenden sind oft dieselben Akteure in anderen Rollen. Für die Geschenkökonomie hat das folgende Implikationen: Wenn es keine klare Rollenverteilung von Produzent und Rezipient mehr gibt, sind die Akteure nicht mehr eindeutig als Gebende oder Nehmende zu identifizieren. In einem Kontext, in dem alle auf ihre Art etwas zur Produktion beigetragen haben, scheint es logisch zu sein, daß das Produkt frei ist. Wenn eine Instanz das Produkt privatisiert, indem sie es nur gegen Geld verkauft, werden sich die Koproduzenten teilweise aus der Produktion zurückziehen und eher an einer anderen Sache mitarbeiten, die frei bleibt: Wenn Altavista morgen gebührenpflichtig wird, melde ich meine Seiten eher bei Hot Bot und den anderen Suchmaschinen an, weil ich eine größere Motivation habe, an einem Produkt mitzuarbeiten, daß ich selbst nutzen kann und weil ich es nicht honoriere, wenn Altavista den Kommunikationsprozeß zwischen mir und eventuellen Interessenten meiner Seite durch Gebühren behindert. Im Bereich der freien Softwareentwicklung ist dieser Prozeß noch besser zu beobachten: Raymond (1997) zeigt an einigen Beispielen, daß man sich mit einem Geschenk nicht nur eine Nutzergruppe, sondern fast automatisch auch eine Gruppe von Mitentwicklern schafft. Viele Freewareprodukte sind wie Perl nach einem Initialgeschenk eine Koproduktion von Menschen, die hauptsächlich entwickeln und auch nutzen, und solchen, die hauptsächlich nutzen und auch entwickeln. Grenzen zwischen Gebenden und Nehmenden verwischen hier völlig, die Produkte bekommen Allmendecharakter: Sie sind etwas, zu dem viele beitragen haben und das allen gehört. Ein privatisierendes Abzäunen würde den sofortigen Zusammenbruch der Produktionsgemeinschaft bedeuten. Die Produktionsweise des den Konsumenten miteinbeziehenden koproduktiven Patchworkings bedingt die Verkehrsform des Geschenks. 11 In vollkommen interaktiven Medien wie im IRC, in den MUDs und zum Teil auch im USENET ist es gerade Sinn der Kommunikation, gemeinsam ein Produkt herzustellen und zu rezipieren. Hier kann man höchstens noch zwischen Herstellern des Mediums (den Wizards und Admins) auf der einen Seite und den Inhaltskonsumenten und -produzenten auf der anderen Seite unterscheiden. |
6.2.3 Folgerungen
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Wir haben im ersten Abschnitt gesehen, daß kaum materiellen Kosten für die technische Inhaltsproduktion, für die Publikation und die Distribution anfallen. In diesem Abschnitt habe ich versucht zu zeigen, daß es bei der Produktionsweise des koproduktiven Patchworkings weder eine Notwendigkeit für eine Professionalisierung der Inhaltserstellung, noch einen unbedingten Bedarf für professionelle koordinative, überprüfende und leitende Tätigkeiten wie die Selektion von Inhalten, die Korrektur oder die Aufgabenverteilung gibt. In dieser Produktionsgemeinschaft findet man keine Pendants zu Lektoren, Intendanten oder Chefredakteuren. Die Stärke dieses Patchworkings liegt zum Teil darin, daß man die Nutzer der Produkte in den Produktionsprozeß einbindet, daß es also überhaupt keine klare Grenze zwischen Produzenten und Rezipienten mehr gibt. Während das koproduktive Patchworking alleine die Verkehrsform des Geschenks nahelegt, da es keine Notwendigkeit für eine Professionalisierung der Produktion gibt, erzwingt die Einbindung der zukünftigen Nutzer diese Verkehrsform. Die Entstehung der Geschenkökonomie basiert also zu einem großen Teil auf einer Auflösung der modernen Produktionsverhältnisse. Wir finden kaum eine der charakteristischen Eigenschaften der industriegesellschaftlichen Arbeit wieder: Die Professionalisierung der Güterproduktion wird zum Teil unnötig. Die Trennung von Erwerbsarbeit und Freizeit, bzw. Arbeitsplatz und Wohnung, ist weitgehend aufgehoben. Es gibt oft keine klar unterscheidbare Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten informationeller Güter mehr. Der Zwang, die Produktion in Organisationen stattfinden zu lassen, fällt weg; und damit auch die Möglichkeit, die Tätigkeiten qua Macht zu koordinieren. |
6.3 Oberflächenbildung
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Ich habe in den ersten beiden Abschnitten dieses Kapitels die Schaffung informationeller Gegenstände meist als "Produktion" gelabelt und sie implizit als Arbeit dargestellt, die in unserer Gesellschaft eine Tätigkeit mit strategischer Ausrichtung ist: Sie dient normalerweise der Produktion von Gütern, die der Produzent besitzt oder für die er ein Entgelt von seinem Auftraggeber bekommt. Im nächsten Kapitel wird die strategische Ausrichtung der Produktion von Geschenken im Netz genauer untersucht und gezeigt, auf welche Weise die Geschenkherstellung einen Pay-Off für die Produzenten generieren kann. In diesem Abschnitt soll eine andere Perspektive in Bezug auf diese Tätigkeit eingenommen werden: Die Schaffung informationeller Güter kann Selbstzweck sein. Jede Person hat eine Korona von Gegenständen, die ihr gehören oder zu ihr gehören, und die anderen etwas über sie ausdrücken, also eine Oberfläche zur Umwelt darstellen. Diese Korona ist ein beschreibbarer Bereich, die Person kann und muß die Gegenstände gestalten bzw. seligieren, welche Gegenstände in diesen Bereich aufgenommen werden. Die Oberfläche fängt bei den sichtbaren Teilen des Körpers an, die bedingt veränderbar sind, und erstreckt sich vor allem über zweite und dritte Häute, also Kleidung, Wohnung und Auto. Die Kommunikation über die Korona kann zum Teil strategisch motiviert sein, man kann z. B. seinen Body builden und sich entsprechend kleiden, um eine bessere Ausgangslage auf dem Partnermarkt zu erreichen. Zum größten Teil ist diese Form von Kommunikation aber Selbstzweck: Die Gestaltung des eigenen Umfelds ist eine menschliche Seinsweise, deren Kern m. E. strategisch nicht erklärt werden kann, sondern die in einer ökonomischen Analyse wie dieser als Folge bestimmter Präferenzen eines Menschen hingenommen werden muß: In der Korona werden aus einer intrinsischen Motivation heraus Zeit und Güter verbraucht. Mit den Internetmedien entsteht einfach ein neuer Schauplatz, in dem eigene Marken gesetzt werden können: Vor allem die private Homepage im Web kann als wichtige Extension der eigenen Korona gesehen werden: Einerseits ist sie zwar oft ein längeres Text- und Bilddokument, also etwas, das in unserer Kultur üblicherweise als autonomes, eigensinniges Artefakt dasteht, und das in den klassischen Medien meist vom Autor getrennt werden kann. Andererseits werden Homepages bewußt als ein Teil der eigenen Oberfläche gesehen, sie sagen hauptsächlich "das bin ich" und verlieren genauso wie Kleidung ihren Sinn, wenn man die Verbindung zum Autor zerschlägt. Während Privatleute sich ansonsten hauptsächlich über nichtsprachliche Kommunikation wie eben Kleidung und über extrem kurze Textfragmente wie Autoaufkleber, Ansagen auf dem Anrufbeantworter oder Sinnsprüche auf Fußabtretern an die Öffentlichkeit wenden können, gibt es hier endlich die Möglichkeit einer größeren sprachlichen Selbstdarstellung, die von den Gebrauchsgütern gelöst ist, eine statische Repräsentanz des Ichs bildet und zudem sehr gute technische Möglichkeiten bietet, über Verweise zu anderen Personen und Institutionen die Einbettung des Selbst in die Welt sichtbar zu machen. Diese Möglichkeit wird sehr intensiv genutzt. Den eigentlichen Grund dafür, also wie dieses Bedürfnis, sich selbst darzustellen, entsteht, kann meine ökonomisch ausgerichtete Analyse nicht untersuchen. Ich habe hier einfach ein Bedürfnis gesetzt, das ich als allgemein menschliches sehe. Der Grund dafür, daß das Netz gewählt wird, um dieses Bedürfnis zu befriedigen, ist ökonomisch erklärbar: Meines Erachtens ist es die simple Tatsache, daß das Netz eine vergleichsweise sehr kostengünstige und weitreichende Möglichkeit bietet, diese Selbstdarstellung umzusetzen. Dementsprechend gestaltete Elemente der eigenen Oberfläche können jenseits ihres intrinsischen Wertes Güter für andere sein: In den klassischen Selbstdarstellungsmedien ist der Nutzen dieser Güter meistens ästhetischer Natur oder liegt in einer gewissen Belustigung: Ein schöner Mensch oder ein Haus kann eine Augenweide sein, die auf der Oberfläche plazierten Kurztexte wie Aufkleber sind bisweilen witzig. Im Netz kann dieser enge Bereich überschritten werden: Ohne ambitioniert zu wirken oder den Schritt zur Herstellung von der Person gelöster informationeller Artefakte machen zu müssen, lassen sich für diesen Teil der Korona Güter produzieren, die ein breiteres Spektrum von Bedürfnissen abdecken: Man kann hier Verzeichnisse, Einführungen, Essays, eigene Arbeiten aus dem Hobbybereich (Gedichte, Photographien, Aquarelle) oder was auch immer ausstellen. Eine der radikalen Umwälzungen, die der neue Medienraum bringt, ist, daß hier eine Produktionssphäre global verfügbarer, informationeller Güter aufgemacht wird, die außerhalb der strategischen Rationalität vergleichbarer Produktionssphären wie der Wissenschaft, der Softwareindustrie oder der Massenmedien liegt. Die eigene Oberfläche, die Korona der zu mir gehörigen Dinge, ist kein Bereich, in dem ich einen Pay-Off erwarte, sie ist ein Raum, in dem ich bewußt Zeit und Geld verschwende, weil die Repräsentation meiner Person immer schon einen intrinsischen Wert für mich darstellt. Natürlich versuche ich nicht einmal, für meine Selbstdarstellung Geld zu bekommen: Sobald ein Geldaustausch in diese Form der Kommunikation eingeführt wird, ist ihr Sinn zerstört: Die Wohnung wird zum Museum, das Zeigen von Körper und Kleidung zur Peep-Show. Ich wäre gezwungen, etwas herzustellen, was für sich selbst steht, also mich nur noch sehr bedingt darstellen kann. |
Fußnoten |
1
Es sei denn, es werden Rückkanäle eingebaut (die auch über andere Leitungen wie das Telefonnetz laufen können).
2 Eine Ausnahme ist ein einzelnes USENET-Forum: Hier verbraucht jedes Posting Kanalbreite, weil ähnlich wie beim Rundfunk zumindest die Header aller Postings ohne Vorselektion heruntergeladen werden. Die Zahl der Angebote ist hier zwar nicht prinzipiell aber praktisch beschränkt: Es wäre zeitlich kaum durchführbar, 100.000 Header einer Newsgroup zu laden. Eine zusätzliche Newsgroup verbraucht dagegen keine zusätzliche Bandbreite. Die neuen Push-Medien im Netz sollen teilweise das schon totgeglaubte Rundfunkverfahren wiederbeleben: Auch hier wird z. T. erst geladen, dann seligiert. 3 Ein Beispiel, um die Dimensionen klarzumachen: Mein Webspace-Provider, pair.com, verlangt pro MB Übertragung von Webcontent $ 0,07. D. h., daß mich ein Request nach einer Seite mit 50 KB Text- und Bilddaten etwa ein Drittel eines Cent kostet. Umgekehrt würde mich der Download dieser Seite als Rezipient bei einem 14.400-Modem bei Accessprovidergebühren von DM 1,50 /h selbst nach 18 Uhr im Idealfall (ohne Verzögerungen) ca. 4 Pfennige kosten. 4 In den Online-Diensten waren die Publikationskosten früher z. T. auch sehr hoch, bevor der Erfolg des Internet deren Eigentümer dazu gezwungen hat, die Preise anzupassen. 5 Vgl. Raymond (1997), der den "Bazaar Style" (womit in etwa das selbe wie mit meinem "koproduktiven Patchworking" gemeint ist) des Produktionsprozesses von Linux im Gegensatz zum "Cathedral Style" der konventionellen Software-Entwicklung beschreibt. 6 D. h., daß es z. B. in der Perlgemeinde nicht viele Leute gibt, die unter zwei Namen agieren und umgekehrt nicht hinter vielen Namen mehr als eine Person steckt. 7 Es gibt natürlich auch beim koproduktiven Patchworking Macht. Diese beruht zu einem großen Teil auf Reputation: Leute, die als Gurus angesehen werden und deren Credibility hoch ist, haben größere Steuerungsmöglichkeiten als andere. Diese Macht besteht aber nur, solange sie freiwillig anerkannt wird. Sie kann nicht erzwungen werden. 8 Natürlich finden sich im Katalog moderner Managementtechniken auch subtilere Methoden als Prämienversprechen und Kündigungsdrohungen. Ich denke jedoch, daß für viele Menschen das Hauptmotiv morgens aufzustehen die Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes ist. 9 Das heißt nicht, daß hier alles von Laien produziert werden kann: Natürlich müssen Programme, Tutorials und Artikel immer noch von Profis der jeweiligen Sparte geschrieben werden. Diese müssen aber keine professionellen Web-Publizisten sein. 10 Und damit habe ich nur die unkomplizierteste Form der Informationsschaffung mit Suchmaschinen beschrieben: Meistens sind weitere Akteure involviert, denn ein großer Teil der Seiten wird über Multi-Submit-Tools (wie www.submit-it.com) angemeldet und mit Hilfe von Multi-Search-Sites abgefragt (wie www.metacrawler.com). 11 Teilweise ist es auch unmöglich, Produkte, die aus vielen Quellen geschöpft haben, zu privatisieren, da der juristische und organisatorische Aufwand, die Copyrightfragen zu klären und alle Beitragenden abzufinden, den erhofften Gewinn eines Verkaufes bei weitem übersteigt. Vgl. für Lynx: Grobe: Mail an mich (2), im Appendix. |