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Der Text ist eine mehr oder minder geringfügig modifizierte Fassung meiner MA von 1997 an der FU Berlin, AB Informationswissenschaft. Viel Spaß beim Lesen! |
Vergessen wir für einen Moment, daß es das Internet gibt: Die Entwicklung der anderen elektronischen Medien verläuft nach einem Drehbuch, das eigentlich nur ein phantasievoller Stamokapanhänger verfaßt haben kann: Während wir bei den Zeitungen und Zeitschriften trotz zunehmender Konzentration bundesweit noch einige größere Verlage haben, wird das Privatfernsehen in Deutschland von zwei Hauptakteuren (Kirch und Bertelsmann) und einigen Mitspielern kontrolliert. Bei der neuesten Weiterentwicklung, dem digitalen Fernsehen, sind die Investitionsrisiken so hoch, daß selbst die beiden kapitalstarken Duopolisten gezwungen sind, sich mit der Telekom zu einem Monopol zusammenzuschließen (Lilienthal 1997). Ähnlich sieht es im Online-Bereich aus: Hier gab es weltweit außer den Ablegern der nationalen Telekom-Monopolisten (BTX / T-Online, Minitel, usw.) bis vor kurzem noch zwei ernstzunehmende Anbieter: Compuserve und AOL. Der eine wurde gerade vom anderen geschluckt, so daß auch hier ein Monopol übrig bliebe, gäbe es nicht das Internet mit seiner Unzahl von Anbietern. Über die Zukunft der digitalen elektronischen Medien wird in den Vorstandsetagen, den Staatskanzleien und Ministerien entschieden. Die Formate und Inhalte werden von Monopolisten seligiert. Dem Zuschauer 1 ist bei diesem Prozeß die Rolle des Zuschauers zugedacht, er kann sich dank neuer Feedbackkanäle aber dafür entscheiden, welches Programm des Anbieteroligopols er kaufen möchte. Der Gegenentwurf zu dieser Zukunft, das Internet, wurde interessanterweise nicht in Untergrundzirkeln von Kommunikationsrebellen ausgebrütet, sondern im Auftrag des Pentagon konzipiert. Massenfähig gemacht wurde es durch eine Entwicklung einer der weltweit hochsubventioniertesten zivilen Forschungseinrichtungen: Das WWW ist am CERN in Genf entstanden. Getragen wird das neue Medienensemble von Wissenschaftlern, Freaks, Hackern und zunehmend auch von breiteren sozialen Schichten. Eine der spannendsten Eigenschaften des Netzes ist, daß sich hier im Gegensatz zum oben skizzierten Kapitalismus der "global players", "super mergers" und "strategischen Allianzen" ein Markt mit völligen anderen Spielregeln etabliert hat: Soweit die Tätigkeiten der Akteure überhaupt auf Geldverdienen angelegt sind, scheint das Netz ein neues Eldorado zu sein: Jeder einzelne hat die Chance auf eine Goldader zu stoßen, sofern er der erste ist, der in einem bestimmten Marktsegment gräbt (Ähnlich wie im echten Eldorado gibt es aber auch hier sehr viel mehr, die zu spät kommen und nichts finden, als wirklich erfolgreiche Glücksritter). Andererseits ist im Netz eine noch sehr viel archaischere Wirtschaftsform entstanden, die darauf basiert, daß Güter oft von nicht-kommerziellen Akteuren produziert werden und als Geschenke verkehren. Es ist zumindest kontraintuitiv, daß es Medien gibt, in denen man von Tips über Software und wissenschaftlicher Literatur bis hin zur Unterhaltung alles umsonst und zum größten Teil werbefrei bekommt. Es ist höchst erstaunlich, daß die Medien, in denen diese Form des Güterverkehrs dominiert, ein kaum vorstellbares und von vielen anderen "neuen" Medien nicht erreichtes Wachstumstempo hinlegen. Mein Interessensgegenstand an dieser Arbeit läßt sich mit den drei Worten: "Wie kommt das?" umreißen: In diesem Papier soll die Herkunft, der Umfang und die Funktionsweise des Geschenkverkehrs im Internet analysiert werden, und Gründe dafür gefunden werden, warum gerade in diesem Medienraum das Geschenk die dominierende Form des Güterverkehrs ist. Betrachtet wird dabei nur der Teil von Geschenken, der öffentlich zugänglich ist, da zum Geschenkverkehr in privaten Medien wie Email noch kaum Untersuchungen existieren. In der Arbeit wird der Geschenkverkehr im Netz vorwiegend ökonomisch analysiert. Das bedeutet nicht, daß ich ausgiebig auf das Instrumentarium der Wirtschaftswissenschaften zurückgreife, sondern daß der Verkehr als Verkehr von Gütern und das Handeln der einzelnen Akteure immer als Handeln zweckrationaler Menschen betrachtet wird, die mit ihren knappen Mitteln wirtschaften müssen, um ihre Ziele möglichst effizient zu erreichen. Diese ökonomische Herangehensweise hat zwei Gründe: Erstens bin ich der Meinung (und werde das in dieser Arbeit zeigen), daß der größte Teil des Geschenkverkehrs im Netz durch zweckrational handelnde Akteure erklärt werden kann. Es besteht also kein Grund, auf voraussetzungsvollere psychologische oder soziologische Theorien zurückzugreifen, wenn schon die simple Annahme, daß jemand das tut, was ihm am meisten nützt, sein Handeln erklärt. Zweitens bewegen sich alternative Erklärungsmodelle des Schenkens, die dieses psychologisch oder soziologisch herleiten, im Internet auf sehr dünnem Eis, weil kaum verläßliche empirische Daten zu psychischen Interna der Nutzer und der Dimension der Beziehungen zwischen ihnen existieren. Die gerade gegebene Skizze einer ökonomischen Herangehensweise wird im zweiten Kapitel präzisiert. Hier werden auch die grundlegenden Begriffe dieser Arbeit geklärt. Da es kaum wissenschaftliche Literatur zur Geschenkökonomie im Internet gibt, wird dann auf Literatur zum Geschenkverkehr anderer Bereiche zurückgegriffen, um Bausteine für ein Modell einer Geschenkökonomie zu gewinnen: Hier soll das Schenken in archaischen Kulturen und das im wissenschaftlichen Sektor analysiert werden: Die Ethnologie, und hier vor allem die Arbeit von Marcel Mauss über "Die Gabe" liefert das am weitesten durchdachte Modell des Geschenkverkehrs. Der wissenschaftliche Geschenkverkehr ist eine der Mütter der Geschenkökonomie im Netz. Bei beiden Geschenkökonomien wird Ansehen als zentrales Gut oder Kapital identifiziert, das durch Geschenke generiert wird. Die nächsten drei Kapitel versuchen, sich der Geschenkökonomie im Netz vorwiegend anhand empirischer Daten zu nähern: Ihre Entstehungsgeschichte, ihr gegenwärtiger Umfang und ein Beispiel einer geschenkökonomischen Netzgemeinde sollen hier beschrieben werden. Das dritte Kapitel ist der Geschichte des Netzes gewidmet: Ich gehe davon aus, daß Technologie ihre Nutzung nie vollständig determiniert, und möchte zeigen, welche kulturellen Einflüsse und welche Formen des Güterverkehrs und der Interaktion von den ersten Siedlern in das Internet mitgebracht wurden. Drei Gruppen, die entscheidend zur Durchsetzung der Geschenkökonomie beigetragen haben, werden dabei identifiziert: Wissenschaftler, die Unix-Gemeinde und die Technolinke. Im vierten Kapitel wird nach einer definitorischen Abgrenzung des geschenkökonomischen Bereiches im Netz vor allem mithilfe statistischer Daten die jetzige Bedeutung der Geschenkwirtschaft mit der Geldökonomie verglichen. Die Gemeinde um die Programmiersprache Perl ist ein Beispiel für ein geschenkökonomisches System im Internet, das im fünften Kapitel behandelt wird. Hier lassen sich eine Geschenkökonomie, ihre Transaktionsprozesse und die Motive der Akteure aus einer Nahperspektive betrachten. In den nächsten beiden Kapiteln werden die Gründe für die Geschenkwirtschaft und deren Funktionsweise untersucht. In Kapitel sechs gehe ich näher auf die Produktionsverhältnisse informationeller Güter im Netz ein und möchte zeigen, daß bestimmte Formen der Produktion die Transferform des Geschenks erleichtern, während andere sie sogar erzwingen. Wichtige Features des Produktionsweise im Netz sind das koproduktive Patchworking, die Einbeziehung der Rezipienten in die Produktion informationeller Güter und die Möglichkeit, innerhalb eines Bereiches der Selbstdarstellung zu produzieren. Vor dem Hintergrund der analysierten Produktionsverhältnisse wird in Kapitel sieben der Mechanismus des strategischen Schenkens im Netz untersucht: Welche direkten Gegengaben bekommt ein Schenkender für sein Geschenk und welche Möglichkeiten hat er, diese wiederum in Zielgüter einzutauschen? Hier werden drei Zwischengüter, Ansehen, Aufmerksamkeit und Verbreitung eigener Produkte, identifiziert und deren strategischer Einsatz beschrieben. Im Schlußkapitel wird außer einer Zusammenfassung und Einschätzung der Ergebnisse noch die Frage erörtert, welche Chance die Geschenkökonomie hat, weiter die dominierende Verkehrsform im Netz zu bleiben. |
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Fußnoten |
1
In dieser Arbeit wird aus Raum- und Stilgründen durchgängig der maskuline Genus bei der Bezeichnung von Personengruppen und -typen verwendet. Gemeint sind immer Frauen und Männer. |