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4.1 Verkauf und Werbefinanzierung 4.1.1 Virtueller Shop und Kundendienst 4.1.2 Kostenpflichtige Inhalte 4.1.3 Bannerwerbung 4.2 Der Umfang der Geschenkökonomie 4.2.1. Geschenke von Unternehmen 4.2.2 Geschenke nichtkommerzieller Akteure 4.2.3 Der Anteil der Nachfrage nach Geschenken an der Gesamtnachfrage 4.2.4 Der Wert der Geschenke 4.3 Resümee |
Nach der Beschreibung der Herkunftslinien der Geschenkökonomie im letzten Kapitel, soll hier deren heutiger Umfang untersucht werden. Auch wenn es augenscheinlich ist, daß sehr viel als Geschenks vergeben wird, habe ich dieser Frage ein eigenes Kapitel gewidmet, um genau abzugrenzen, welcher Bereich des Güterverkehrs im Internet als Geschenkökonomie zu betrachten ist, und um den umsatzmäßigen Stellenwert der Geschenkwirtschaft gegenüber dem Verkauf angegeben zu können. Ist die Kommerzialisierung im Netz schon so weit fortgeschritten, daß der Geschenkverkehr nur noch ein archaisches Residuum in einem Kommerznetz ist? Oder bleibt das Geschenk weiterhin die dominierende Verkehrsform? Oder schließen sich beide Formen gegenseitig nicht einmal aus? In dieser Arbeit werden nur die informationellen Gegenstände betrachtet, die innerhalb der Internetmedien transferiert werden können, also Dokumente, Programme oder softwareseitige Interaktionsmöglichkeiten. Die Hardware, sowie die Verbindungs- und Zugangsdienstleistungen, die das Internet erst ermöglichen, gehören nicht zu diesen Gütern. Welche der informationellen Gegenstände man als Geschenk betrachten soll, wird auf den ersten Blick nicht klar: Außer wenigen kostenpflichtigen Sites ist fast alles im Netz frei und unentgeltlich, also geschenkt. Manche freien Seiten sind Teile einer Verkaufshandlung, wie HTML-Formulare, die der Bestellung von Gütern dienen. Andere sind zwar frei, verlangen jedoch ein Entgelt von Dritten, z. B. von Werbekunden. Wieder andere bewegen sich in einem kommerziellen Kontext, wie PR-Sites von Unternehmen, haben jedoch keinen direkten Bezug zu Kauf- oder Verkaufshandlungen. Eine Grenze zwischen Geschenken im engeren Sinne, und solchen Transfers, die nicht als Geschenk zu betrachten sind, läßt sich durch meine Eingangsdefinition von Geschenk im zweiten Kapitel gewinnen: Ein Geschenk ist ein Gegenstand, den der Produzent unentgeltlich vergibt und der kein Teil einer Verkaufs- oder Kauftransaktion ist. Ob der Schenkende dabei ein kommerzieller Akteur ist und letztlich Profitmaximierungsziele verfolgt, ist dabei unwichtig, solange kein Entgelt verlangt und der Transfer in keinem direkten Verkaufskontext steht. Im folgenden sollen jeweils die bedeutendsten Verkehrsformen der Geldwirtschaft und die Geschenkökonomie von ihrem Umfang her betrachtet werden und begründet werden, warum die einzelnen Bereiche jeweils der Geschenk- oder Geldökonomie zuzurechnen sind. Meine Abschätzungen des Umsatzes der einzelnen Bereiche ist angreifbar, weil sie sich fast durchweg auf Zahlenmaterial beruft, dessen Verläßlichkeit unsicher ist. Das Problem ist weniger eine unsaubere Herangehensweise der einzelnen Erhebungen, sondern daß es fast unmöglich ist, Umsatzgrößen im Netz genau zu quantifizieren: Das einzige, was man sicher sagen kann, ist daß das Internet groß ist und schnell wächst. Es gibt in diesem Medienraum keine Institutionen wie die staatlichen statistischen Ämter, die ökonomische Daten aus meldepflichtigen Einzeltransaktionen erheben können. Ich gebe die Zahlen dennoch an, weil sie zumindest eine Vorstellung über die Größenordnungen der Transferformen im Netz vermitteln. Sie sind nicht als exakte Angaben zum Umfang der jeweiligen Bereiche zu verstehen. Ein Grund, warum ich ein gewisses Vertrauen in die Zahlen habe, ist die Kohärenz des Gesamtbildes, das die Daten der verschiedenen Quellen ergeben. Ich kann nur hoffen, daß sich nicht alle irren. |
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4.1 Verkauf und Werbefinanzierung
4.1.1 Virtueller Shop und Kundendienst |
Inzwischen offeriert eine Unzahl von Unternehmen ihre Waren im Web zum Verkauf. Obwohl auch diese Seiten frei sind, sollen sie nicht zum geschenkökonomischen Bereich gezählt werden. Genauso wie ein Ladenraum keine geschenkte öffentliche Wärmestube ist, sondern nur der Abwicklung von Verkäufen dient, machen derartige Webseiten und Programme nur Sinn für (zukünftige) Kunden des Unternehmens; sie können als Teil der Kaufbeziehung gesehen werden. Notwendige Bedingung eines völlig freien Inhalts wäre, daß seine Nutzung auch ohne vorhergehenden oder anschließenden Kauf etwas bringt. So wären z. B. die Reviews der angebotenen Bücher bei dem amerikanischen Versandbuchhändler Amazon (www.amazon.com) Geschenke, während die Seiten, die nur dazu dienen, eine Bestellung aufzugeben, kein Geschenk sind. Über den Umfang der Verkäufe über das Internet gibt es verschiedene Schätzungen: Computerworld (1997) listet eine Reihe von Untersuchungen auf, die die Verkäufe über das Netz 1996 zwischen $ 500 Mio. und $ 1,5 Mrd. einschätzen. Meistens ist dabei nicht genauer spezifiziert, welcher Teil davon über das Web abgewickelt wird. Die Tätigkeit des WWW-Shoppens taucht in der GVU-Umfrage (1997, 4) bei den Hauptnutzungsarten des WWW erst unter ferner liefen auf (Bild 1). |
Bild 1: Die Hauptnutzungsarten des WWW (rezipierende Nutzung mittels Browsers). Mehrere Antworten waren möglich. Quelle: GVU (1997, 4) |
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4.1.2 Kostenpflichtige Inhalte
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Im Gegensatz zu den Online-Diensten sind im Internet fast alle Inhalte frei. Im Vergleich zu der sehr hohen Anzahl der Websites, gibt es nur verschwindend wenig Sites, die ihre Inhalte verkaufen: Der Bereich mit dem wohl größten Anteil an kostenpflichtigen Sites ist die Pornographie. Die Sexindustrie war im Netz wie auch in anderen Medien, wie Telefon, Video, Minitel oder Videokonferenz ein Vorreiter für kommerzielle Mehrwertdienste (Economist 1997, 1). In dem genannten Artikel findet sich auch eine Schätzung, daß der gesamte Handel mit Pornographika, der über das Internet abgewickelt wurde - egal ob die Bilder per Post ausgeliefert oder online übertragen werden - 1996 bei $ 50 Mio. lag. Der zweite wichtige Bereich kostenpflichtiger Angebote sind die Repräsentanzen von Altmedien im Internet: Internationale Premiumzeitungen wie "New York Times" oder "Washington Post", Fachzeitschriften und viele wissenschaftliche Periodika sind abonnementpflichtig (Hitchcock et al. undatiert). Einige hochqualitative Datenbankanbieter wie GENIOS oder LEXIS verlangen im Netz Gebühren für einzelne Daten. Vergleichsweise viele kostenpflichtige Angebote finden sich im Wirtschaftsbereich: Meistens werden hier Datenbanken oder Tickerdienste angeboten, wie Börsencharts (z. B. www.quote.com), Jobdatenbanken (z. B. www.staffing.net) oder Anbieterverzeichnisse (z. B. www.tradecompass.com). Ansonsten gibt es in allen Bereichen weitere Versuche, kostenpflichtige Server aufzuziehen, die mit den unterschiedlichsten Zahlungsmodalitäten operieren: Tale.com läßt die Nutzer z. B. die erste Hälfte einer Kurzgeschichte lesen und verlangt für die zweite Centbeträge, die mit virtuellem Geld bezahlt werden müssen. Insgesamt ist die Anzahl kostenpflichtiger Angebote im Vergleich zu den freien, außer in ganz bestimmten Sparten wie Pornographie, Tickerdiensten oder wissenschaftlichen Zeitschriften, verschwindend gering. Außerdem haben viele der zahlungspflichtigen Angebote einen reinen Testcharakter und stellen wie das letzte Beispiel noch keinen ernsthaften Versuch dar, Geld zu verdienen. Das Hauptproblem beim Verkauf von Inhalten ist der mangelnde Zahlungswillen des Publikums: Bei den GVU-WWW-User-Surveys geben immer mehr als 2/3 der Nutzer an, daß sie keine Gebühren für Sites zahlen würden. Als Hauptgrund wird genannt, daß man die entsprechenden Inhalte auf anderen Sites frei bekommt (Vgl. Bild 2 und GVU 1997, 2). |
Bild 2: Die Antworten auf die Frage warum die Nutzer keine Gebühren zahlen wollen. Quelle: GVU (1997, 2) |
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4.1.3 Bannerwerbung
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Wenn man entsprechend viele Rezipienten hat, diese aber nicht zahlen wollen, lassen sich die Investionen in eine Site über Werbung refinanzieren: Bannerwerbung, die Einbindung eines Bildes mit Link auf eine Seite des Werbenden, ist dabei die gebräuchlichste Form. Die großen Suchdienste und Kataloge, Webrepräsentanzen von Zeitungen und Zeitschriften tragen normalerweise Banner. Das Internet Advertising Bureau (1997) schätzt in seiner Umfrage das Volumen der Bannerwerbung im Web in den ersten drei Quartalen von 1996 auf $ 157 Mio. Jupiter Communications (1997), gehen in ihrem Survey für 1996 von $ 300 Mio. Umsatz für den gesamten Online-Anzeigen-Bereich aus und prognostizieren für 1997 $ 1 Mrd. Die Werbeumsätze im Netz sind recht niedrig. Zum Vergleich: Die der deutschen Tageszeitungen belaufen sich auf über DM 10 Mrd. (Heinrich 1994: 69, Zahlen für 1992). Dabei ist das Angebot an Rezipientenaufmerksamkeit im Onlinebereich sehr viel größer: Allein die mindestens 50 Mio. Nutzer des Web 1 halten sich durchschnittlich ca. 10 h pro Woche in diesem Medium auf 2 , während die ca. 65 Mio. Erwachsenen in Deutschland etwa nur 30 min. pro Tag Zeitung lesen (Heinrich 94: 58, Zahlen für 1990). Allerdings sind die Wachstumsraten des Werbeumsatzes im Netz exorbitant hoch (Bild 3). Werbefinanzierte Sites sind ein Grenzfall von Geschenk: Sie werden zwar gegen Entgelt publiziert, dieses zahlt aber nicht der Rezipient, sondern eine dritte Seite, der Werbekunde. Ich klammere die werbefinanzierten Publikationen aus dem engeren Geschenkbereich aus, weil der Ökonomie werbefinanzierter Publikationen ein völlig anderer Mechanismus zugrundeliegt als der Geschenkökonomie, die im folgenden untersucht werden soll. Die erste ist einerseits ein Tausch zwischen Publizist und Werbendem, in dem der Publizist Geld bekommt, um Inhalte zu erstellen, die Aufmerksamkeit an sich ziehen. Diese Aufmerksamkeit stellt er dem Werbenden zur Verfügung. Die gesamte Transaktion besteht also in einem Schenkakt (Publizist an Rezipient) und einem Tauschakt (Publizist und Werbender). Dieser komplexe Schenk-Tausch-Prozeß verdient eine gesonderte Betrachtung, die hier nicht geleistet werden kann. 3 Im Rest der Arbeit sollen unter dem Begriff des Geschenkes keine werbefinanzierten Angebote mehr verstanden werden. |
Bild 3: Die Onlinewerbeumsätze auf Angeboten anderer Anbieter und durch "Direct Marketing" (Spamming etc.). Quelle: Jupiter Communications (1997) |
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4.2 Der Umfang der Geschenkökonomie
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Jeder Gegenstand, der unentgeltlich und nicht als Teil einer Kaufhandlung gegeben wird, ist ein Geschenk. Im weiteren sollen allerdings nur die Inhalte betrachtet werden, die öffentlich sind, d. h. der Austausch von Emails und die Inhalte von Servern, die nur spezifischen Kreisen offen stehen, werden wegen methodischer Schwierigkeiten ausgeklammert: Sie sind auch dem Forscher nur über Umwege zugänglich. Eine Voraussetzung für ein Geschenk, die ich in der Definition im zweiten Kapitel gemacht habe, ist, daß die Inhalte Güter darstellen, daß sie also Bedürfnisse von zumindest einem weiteren Menschen außer dem Produzenten befriedigen. Ob ein bestimmter Inhalt ein Gut ist, ist eine Interessensfrage. Ich persönlich würde z. B. grob schätzen, daß 95% aller Seiten im Web Datenmüll sind, keinerlei Information oder Unterhaltung bieten und eigentlich nicht als Güter betrachtet werden können. Allerdings würde ich dasselbe über das deutsche Zeitschriftenangebot sagen. Hier gibt es aber offensichtlich viele andere Menschen, die diese 95% der Zeitschriften als Güter ansehen und Geld dafür bezahlen. Ich gehe deswegen in dieser Untersuchung zunächst davon aus, daß jede Webseite, jede Auskunft im USENET, jedes MUD, jeder Chat-Kanal, jede Datei auf einem FTP-Server im Prinzip ein Gut darstellt, auch wenn sich oft schwer nachvollziehen läßt, wozu dieses Gut nun gut ist. Ein Geschenk kann ein statischer Inhalt, eine Interaktionsmöglichkeit, eine Auskunft, eine Kompilation von Inhalten (wie in einem Verzeichnis), die Herstellung und freie Lizensierung von Programmen (z. B. unter der GNU Public Licence ) oder das Vorhalten fremder Werke (wie auf einem FTP-Server) sein. Im den folgenden Unterabschnitten wird jeweils eine Beschreibung der Geschenke kommerzieller und nichtkommerzieller Akteure gegeben. Anschließend wird für beide Bereiche zusammen der Umfang eingeschätzt, da das vorhandene Zahlenmaterial nur eine Einschätzung des gesamten Geschenkbereichs erlaubt. |
4.2.1. Geschenke von Unternehmen
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Viele freie Seiten werden von kommerziellen Akteuren angeboten, stehen aber in keinem direkten Verkaufskontext: Die Seiten dienen meist der Selbstdarstellung eines Unternehmens, also der Öffentlichkeitsarbeit oder Werbung. Außer direkten PR-Angeboten, wie z. B. Pressemitteilungen und Überblicksseiten über Produkte, Geschäftsfelder und Ansprechpartner des Unternehmens, findet sich auf den meisten Websites von Firmen eine kommunikative Schnittstelle, z. B. in Form von Links auf Emailadressen oder Feed-Back-Formularen. Eine Umfrage der Berlecon Research unter deutschen Firmen im Web ergab, daß die meisten Unternehmen ihre Webpräsenz einfach als reine Werbung betrachten (Berliner Zeitung 1997). Das Problem solcher Seiten ist, daß man im Gegensatz zu Werbung in den Medien oder Massenmailings die Aufmerksamkeit der Rezipienten nicht erzwingen kann: Normalerweise kommen Besucher deswegen nur, wenn sie das Unternehmen oder dessen Produkte konkret suchen. Da eine Firmenselbstdarstellung in anderen Rezeptionskontexten nicht als Gut betrachtet wird, weil sie oft wenig unterhaltsam oder informativ ist, finden sich kaum Besucher. Einige Unternehmen sind deswegen dazu übergegangen, Güter mit hohem Wert für die Rezipienten herzustellen, in denen man die intendierte Selbstdarstellungsbotschaft transportieren kann: Altavista, die Suchmaschine von DEC, die anfangs völlig ohne Werbung lief, ist ein Beispiel für ein Gut, das eine PR-Nachricht trägt: 4 Es zeigt die unschlagbare Geschwindigkeit der neuen Alpha-Rechner von DEC, auf denen Altavista läuft. Da die Maschine ein sehr nützliches Gut ist, erreicht die Nachricht Millionen. Andere Unternehmen stellen wertvolle Produkte her und verschenken sie primär, um Marktanteile zu gewinnen. Netscape und Microsoft gehören zum Beispiel zu diesen Firmen, deren jeweilige Strategien in 7.3. besprochen werden. Wieder andere machen Teile von eigentlich kostenpflichtigen Angeboten im Netz frei: Viele Zeitungen und Zeitschriften laden eine Auswahl ihrer Artikel ins Netz. Man findet hier auch Zusammenfassungen und Auszüge von Romanen, Sachbüchern, Reports oder Umfragen, bei denen das Vollprodukt verkauft wird. Eine große Zahl von Softwarefirmen vertreibt Demoprogramme mit reduziertem Funktionsumfang über das Internet. Mein Eindruck ist, daß das Gros der Unternehmen jedoch nicht in der Lage oder nicht bemüht ist, wertvolle Produkte für eine einigermaßen breite Rezipientengruppe herzustellen, sondern klassische Werbung betreibt: Man versucht, die Nutzer durch eine graphisch schön aufbereitete HTML-Version von Prospekt-, Presse- und Kataloginformationen zu ködern, die man evtl. mit einigen Gimmicks wie Java-Applets gezuckert hat. Ein wesentlicher Teil der freien Güter mit hohem Rezipientennutzen wird von nichtkommerziellen Organisationen oder Privatpersonen erstellt. |
4.2.2 Geschenke nichtkommerzieller Akteure
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Fast der gesamte Inhalt von Newsgroups, ein großer Anteil von MUDs, FTP-Servern, Chat-Lines, und meiner Einschätzung nach auch das Gros der im Netz verfügbaren Software wird von privaten Teilnehmern und nichtkommerziellen Organisationen wie Universitäten oder Forschungseinrichtungen produziert und verschenkt. Wie im letzten Kapitel beschrieben, wurden die ersten Produkte im Netz fast ausschließlich von nichtkommerziellen Akteuren publiziert. Inzwischen beschränken sich die nichtkommerziellen Produzenten nicht mehr auf die dort genannten Gruppen, sondern umfassen potentiell alle User, die in der Lage sind, in irgendeinem Bereich etwas beizutragen: Man findet deshalb für fast jedes Thema, von Esther Schweins über Latex-Allergie bis hin zu keltischen Religionsgemeinschaften, Informationsangebote und Verzeichnisse von Dokumenten, die von Fachleuten, Fans, Betroffenen oder Glaubensgemeinschaften erstellt wurden. 5 Jeder Netzbesucher weiß, daß es Millionen von Webseiten, Tausende von FTP-Servern, hunderte von Newsgroups und Tausende von MUDs gibt. Wie läßt sich aber der Umfang der Geschenkökonomie genauer quantifizieren? Ich werde für einen Teil, für das Web, das einen der drei wichtigsten und größten Publikationsbereiche darstellt (die anderen sind FTP-Angebote und das USENET), eine Abschätzung von zwei Größen versuchen, die aus vorhandenen Zahlen errechnet werden können: Zuerst soll der Anteil der Angebote, die als Geschenk zirkulieren, an allen nachgefragten Seiten festgestellt werden. Danach werde ich eine untere Grenze des Werts dieser geschenkten Seiten finden. |
4.2.3 Der Anteil der Nachfrage nach Geschenken an der Gesamtnachfrage
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Bei mindestens 50 Mio. Nutzern des WWW 6 und einer durchschnittlichen Nutzungszeit von ca. 10 Stunden pro Woche 7 sind alle Nutzer zusammen etwa 26 Mrd. Stunden p. a. im Web. Nach GVU (1997, 4) shoppen nur 18% der Nutzer regelmäßig im Web (während Aktivitäten wie sich informieren, sich bilden, suchen, browsen, arbeiten, sich unterhalten oder kommunizieren bei jeweils 86% - 45% liegen). Das bedeutet, daß die Verweildauer auf den in 4.1.1 spezifizierten Einkaufsseiten bei einem Wert von sicher unter 10 % der Gesamtnutzungsdauer des Webs liegt, weil auch die 18% der User, die regelmäßig shoppen, sicher nicht mehr als die Hälfte ihrer Onlinezeit darauf verwenden. Einen anderen Hinweis auf die Dauer des Shoppens geben die Umsätze des Verkaufes: Selbst bei sehr großzügig geschätzten Umsätzen des Webverkaufes von $ 1,5 Mrd. (Vgl. 4.1.1) und mehr als 10% der Verwendung der Zeit für Einkaufen wären die Nutzer zwei Stunden oder mehr pro ausgegebenem Dollar auf den Shoppingseiten, was ich als sehr unwahrscheinlich betrachte. Die Zeit im kostenpflichtigen Web sehe ich nach der Einschätzung in Abschnitt 4.1.2 als vernachläßigbar gering an. Die Zeit auf den in 4.1.3 spezifizierten werbetragenden Sites läßt sich folgendermaßen errechnen: Die Kosten für Bannerwerbung belaufen sich auf durchschnittlich mindestens $ 25 pro 1000 Aufrufe eines Banners (Doubleclick 1997). Wenn wir von nur einer Bannerwerbung pro Seite ausgehen, dann entsprechen einem Werbeumsatz von $ 1 Mrd. 8 in den letzten zwölf Monaten 40 Mrd. Seitenaufrufe. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von höchstens 5 min. pro Seite kommen wir auf 3,3 Mrd. Stunden p. a. im beworbenen Web. Diese Größe ist schon sehr hoch geschätzt, da der Werbeumsatz hoch angesetzt ist, in Wirklichkeit teilweise mehrere Banner auf einer Seite sind und die Verweildauer auf einer Seite meiner Einschätzung nach eher unter 5 min. liegt. Zusammen liegt die Verweildauer auf den beworbenen und auf den reinen Verkaufsseiten im Bereich von 20% der Gesamtverweildauer im Web, was bedeutet, daß der überwiegende Teil der Nachfrage auf die Seiten geht, die als Geschenk transferiert werden. |
4.2.4 Der Wert der Geschenke
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Eine grobe Abschätzung des Wertes der Geschenke für die Nutzer kann man mit folgender Überlegung gewinnen: Der Wert eines Gutes für eine Person liegt - Rationalität vorausgesetzt - bei oder über dem Preis, den sie dafür zahlen würde. Webnutzer zahlen zwar nichts für die geschenkten Seiten, aber sie tragen Kosten für die Erlangung des Gutes: Das sind vor allem Gebühren für die Access-Provider und die Telekommunikationsunternehmen. Der Wert der Güter für die Rezipienten liegt also auf jeden Fall bei oder über dem Preis für ihre Zugangskosten, da sie den Aufwand für den Zugang sonst in andere Güter investieren würden. Die Telekommunikationskosten variieren nach Land, die Netzzugangskosten nach Provider. Es spielt aber keine Rolle, ob man die durchschnittlichen Gesamtkosten für den Webaccess auf 50 Cent, $ 1 oder $ 2 pro Stunde einschätzt, der Wert der Geschenke liegt bei den mindestens 20 Mrd. Stunden 9 , die man für ihre Rezeption online ist, auf jeden Fall im zweistelligen Milliardenbereich und damit um eine Größenordnung höher als die Werbe- oder Verkaufsumsätze. |
4.3 Resümee
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Trotz einer rapide fortschreitenden Kommerzialisierung findet der größte Teil des Güterverkehrs im Web weiterhin in der Form des Geschenks statt, was unter anderem daran liegt, daß ein Teil der kommerziellen Akteure ihre Güter auch als Geschenke vergeben. Wenn wir die anderen Medien, wie FTP, das USENET oder TELNET, in denen die Kommerzialisierung noch in den Kinderschuhen steckt, einbeziehen, läßt sich nach der Abschätzung in 4.2.4 sagen, daß der Wert der Güterproduktion, die als Geschenk ausgetauscht wird, um ein Vielfaches über dem Werbeumsatz und dem Umsatz, den die kostenpflichtigen Angebote generieren, liegt. Das Internet kann damit auch ein halbes Jahrzehnt nach Erfindung des WWW noch als Geschenkökonomie mit starken Werbe- und Verkaufseinsprengseln betrachtet werden. Nachdem im nächsten Kapitel ein genauerer Blick auf eine einzelne geschenkökonomische Gemeinschaft geworfen wird, sollen in den beiden darauffolgenden die Gründe für das Dominieren des Geschenkverkehrs geklärt werden. |
Fußnoten |
1
Die Consulting-Firma Dataquest (1997) prognostiziert die Zahl der ans Netz angeschlossenen PCs für Ende des Jahres auf 82 Mio. FIND-SVP (1997) kamen in ihrem Survey von Anfang des Jahres auf 32 Mio. aktive amerikanische Internet-Nutzer (und 55 Mio, die es werden wollen). Fast alle Internet-Nutzer sind auch Web-Nutzer.
2 Nach GVU (1997, 4) liegt die Nutzungszeit bei 13,6 h / Woche, nach FIND-SVP (1997) bei 9,1 h / Woche. Die GVU-Survey-Macher geben zu, daß die FIND-SVP-Daten in diesem Bereich etwas zuverlässiger sind als ihre. 3 Abgesehen davon ist er nicht internetspezifisch: Privatfernsehen und -radio sowie Stadtteilblätter finanzieren sich genauso. 4 DEC nennt als Grund für das Anbieten dieses Service einfach: "building a showcase" für die Alpha 8400 - Turbo Laser (DEC 1997). 5 Esther Schweins ist eine TV-Moderatorin, eine Fanpage findet sich auf: www.dfe.de/esther/index.htm Links zur Latexalllergie finden sich auf: mediswww.cwru.edu/dept/anest/lair/lair.htm Die Homepage der Druiden ist auf: www.geocities.com/RainForest/9584/bruderschaft.htm 6 Siehe Fußnote 25. 7 Siehe Fußnote 26. 8 Wahrscheinlich liegt dieser unter $ 1 Mrd.: Wie in 4.1.3 erwähnt prognostizieren Jupiter Communications den Werbeumsatz für den gesamten Online-Bereich auf $ 1 Mrd. für 1997. 9 Das sind die oben errechneten 26 Mrd. Stunden WWW-online-Zeit minus gut 20 %, die nicht auf den im engeren Sinn geschenkten Seiten verbracht werden. |